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Wandern ohne Plastik, geht das? Ein Selbstversuch

Teil 1:

Wanderer sind Naturfreunde. Sie bleiben auf den Wegen, sie schätzen und schützen Flora und Fauna, sie nehmen ihren Müll wieder mit – im Idealfall. Aber wie sieht’s eigentlich mit der Ausrüstung aus? Was ist dran an Wandersmann und Wandersfrau? Kunstfaser-Trikots, Fleece-Hemden, Kunststoffsohlen, Plastik-Rucksäcke: Klingt wie ein wandelndes Umweltproblem. Muss das eigentlich sein?

Quelle: Photo by Dominik Bednarz on Unsplash2

Zeit für einen Selbstversuch: plastikfrei wandern

Für morgen bin ich mit Freunden zum Wandern verabredet. Aus dem Kleiderschrank hole ich die übliche Wanderkleidung. Mir wird klar, dass ich das meiste davon nicht anziehen kann. Die warme Wanderhose mit den vielen Taschen ist zu 50% aus Polyester. Immerhin sind die Funktionsunterwäsche und die Socken aus Merinowolle – plus etwas Elastan. Die warme Fleecejacke und die Regenjacke kommen auch nicht in Frage. Über die Schuhe denke ich später nach. Es sieht so aus, als wäre Nacktwandern die einzige Möglichkeit,  plastikfrei zu wandern.
Wickeln wir uns tatsächlich in so viel verschiedene Schichten aus Kunststoff ein?

Die Wettervorhersage für morgen: Bewölkt, 7 Grad, windig, morgens vielleicht leichter Regen und später sogar etwas Sonne. Wir haben eine längere Tour im Odenwald geplant, vielleicht 20 Kilometer mit einigen Höhenmetern. Meistens sind wir mehrere Kilometer von der nächsten Bahn- oder Bushaltestelle und von Gaststätten entfernt.

Ich durchsuche meinen Kleiderschrank: Die Strickjacke aus Wolle hält bestimmt auch schön warm. Bei den Jeans sind nur die Fäden mit Kunststoff. Ich finde auch noch einen dicken Mantel aus Wollfleece, bei dem nur das Futter aus Nylon ist.

Bei den Wanderschuhen wird’s kompliziert. Die meisten enthalten Plastik: Eine Wasserschutzschicht, oft Kunstfasergewebe und die Sohle sowieso! Ich nehme also die Leder-Wanderschuhe. Ich erinnere mich, dass in der Sohle auch recyceltes Plastik verwendet wurde, und lasse es gelten. Lieber mit guten Schuhen und ein paar Gramm Plastik losziehen als Barfuß gehen.

Dann der Rucksack. Mein üblicher Wanderrucksack ist zu hundert Prozent aus Plastik. Einen Jutebeutel zum Wandern mitnehmen? Lustige Vorstellung. Aber da ist ja noch der Turnbeutel.Hundert Prozent Baumwolle und ein Vereinslogo drauf. Die Metalldose mit dem Vesperbrot, die Aluflasche mit Wasser und ein Apfel passen locker rein.

Meinen Freunden hatte ich vorher von diesem Versuch erzählt und sie haben mitgemacht. So stehen wir also mitten im Odenwald und betrachten uns: Bundeswehrhose, Lederhose, grüner Försterrucksack aus Baumwolle mit Lederschnallen – und ein uralter Tornister aus Leder und Rehfell. Der wird der heimliche Hit dieser Wanderung und Ziel vieler Späße.

Der Regen hat zum Glück gerade aufgehört, wir bleiben trocken. Allerdings ist es bewölkt und kühl. Der Wind schafft es durch die Schichten der Wollkleidung. Für kurze Momente wünsche ich mir meinen Kunststoff-Faserpelz oder eine winddichte Regenjacke. Dann kommt die Sonne raus und es ist warm genug.

Wir machen Pause. Beim Verpacken unserer Vesper hatten wir am wenigsten Probleme auf Plastik zu verzichten. Dafür hat niemand Schokolade dabei! Weil man die eigentlich nur in einer Plastikverpackung oder in Alufolie mit Papier drum herum bekommt. Eine Wanderung ohne Schokolade, das gab’s auch noch nie.

Am Ende verabreden wir uns für die nächste plastikfreie Wanderung am nächsten Wochenende. Bei jedem Wetter

Zwiebellook extrem statt naturfrei

Wandern ohne Plastik – Selbstversuch, 2. Teil

Bei unserer ersten „plastikfreien“ Wanderung fühlte ich mich kleidungstechnisch ganz gut ausgerüstet. Ganz zufrieden war ich aber nicht, da ich eigentlich nur improvisiert habe – und zum Glück kein Regen fiel.

Deshalb der Weg zum Profi:„Können Sie mich plastikfrei einkleiden?“ Gleich drei Mitarbeitende beim größten Outdoor-Händler in Stuttgart beraten mich und sind etwas peinlich berührt: es gibt hier nichts ohne Plastik außer Merinowolle-Unterwäsche. Ein Verkäufer weißt noch darauf hin, dass es mehrere Produkte mit recycelten Kunststofffasern gibt. Irgendwie unbefriedigend, wenn es kaum Alternativen gibt.

Aber kneifen gilt nicht und die nächste Wanderung in der Plastikfastenzeit ist schon ausgemacht. Es ist Mitte März, ein paar Tage vor dem Termin verheißt der Wetterbericht nichts Gutes. Bewölkt, max. 5 Grad. Wir gehen trotzdem, denn es soll trocken bleiben.

Als unser Zug in den Odenwald losfährt, fallen ein paar Schneeflocken. Ich frage mich, wie es uns ergehen wird, denn der Kunststoff-Faserpelz ist ja zuhause geblieben.

Es sind noch drei Freunde mitgekommen und es war für alle eine besondere Herausforderung, sich auf die winterlichen Temperaturen einzustellen. Einer ist wieder mit seinem Reh-Tornister und Lederhose unterwegs, hat noch eine alte Cordjacke im Keller gefunden und einen Kaschmir-Pullover. Der Zweite hat zwei Wollpullis und einen schicken Schurwolle-Wintermantel an, mit dem er sonst ins Büro fährt. Der Dritte trägt als Extra-Accessoire bunte Filzstulpen. Ich habe mich für das „Zwiebelprinzip extrem“ entschieden: Mehrere Lagen Kleidungsstücke aus Baumwolle, Merinowolle und Hanf und zum Abschluss eine Jacke aus Baumwolle und 24 % recyceltem Polyester. Damit fühle ich mich dann doch genug geschützt vor Wind, Regen und Schnee.

Im Zug werden wir wegen des Tornisters angesprochen. Die Idee, ohne Kunststoff zu wandern, findet Anklang bei den Anderen. Und als wir aus dem Zug aussteigen, fallen wieder ein paar Schneeflocken. Wir gehen los, vorbei an Kirche, Schloss und raus aus dem Ort.

Unterwegs reden wir über die schwierige Kleidungssuche. Selbst im Bio-Modeladen gibt es kaum Jeans ohne Elastan zu bekommen. Immerhin waren die Anderen interessiert, wenn wir von unserem Selbstversuch erzählt haben.

Uns fällt das Wort „naturfrei“ ein, um Kleidung oder Ausrüstung zu benennen, die komplett aus Kunststoff gefertigt sind. Mein naturfreier Rucksack zu Hause enthält keine einzige Naturfaser.

Mein mehrlagiges Zwiebelprinzip funktioniert ganz gut: Auch wenn es zwischendrin immer wieder ganz leicht schneit, ist es fast windstill. Als wir ein Stück auf einem Feldweg laufen, fährt eine Gruppe Mountainbikerinnen an uns vorbei – alle in „naturfreien“ Kleidungsstücken.
Grad als wir am Ziel-Bahnhof ankommen, fängt es an zu regnen.

Am Ende des Wegs: Fazit

Quelle: Rucksackinhalt by Haupes on Unsplash sep

Alt oder neu?

Uns fällt auf, dass wir überwiegend auf alte Gegenstände zurückgegriffen haben: den Tornister aus Pfadfinder-Zeiten, den alten Förster-Rucksack, die ausrangierte Bundeswehr-Hose. Warum die Entwicklung so streng in Richtung Kunstfaser ging, ist offensichtlich: Weniger Gewicht, Feuchtigkeitstransport bei bessere Luftdurchlässigkeit, etc. Aber sind die alten Materialien wirklich so viel schlechter? Gibt es keine neuen Materialien, die kein Mikroplastik produzieren? Immerhin eine Winterjacke gibt es eines schwedischen Herstellers, die komplett ohne Kunststoff auskommt. Und ein bekannter deutscher Wanderschuhhersteller verkauft ein Modell, dessen Sohle wenigstens industriell kompostierbar ist.

Over-stuffed?

Ihr kennt den Spruch: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.“ Aber mal ehrlich, wer wandert schon bei Dauerregen? Was spricht denn dagegen, die Tour dem Wetter anzupassen? Die Wetterprognosen sind so exakt geworden. Sind wir vielleicht über-ausgestattet? Ist es nicht vor allem die Werbung der Hersteller, die behauptet, dass man jederzeit Kleidung und Ausrüstung braucht, mit der man auch den K2 besteigen könnte? Selbst bei einer Tagestour im Odenwald?

Ist weniger mehr?

Zu Beginn der Wanderung hatte ich befürchtet, dass mir die dünnen Schnüre des Turnbeutels in die Schultern schneiden. War aber nicht so. Vielleicht wegen meiner vielen Kleidungsschichten. Aber es scheint immer eine Lösung zu sein, möglichst wenig mitzunehmen. Eine Flasche Wasser, zwei Vesperbrote, fertig. Vielleicht führt der Komfort moderner Plastikrucksäcke auch nur dazu, dass mehr als nötig einpackt wird.

Es ist möglich, fast ganz ohne Plastik zu wandern. Aber gerade am Anfang ist es recht mühsam. Der Outdoor-Markt bietet wenig Alternativen und hat scheinbar das Problem „Mikroplastik“ noch nicht erkannt. Um das zu ändern, benötigt es mehr politischen Konsum, also mehr Nachfragen von Konsumenten zu echten Alternativen bei den Händlern und Herstellern. Damit es eben nicht nur „naturfreie“ Kleidung gibt. Schließlich kann man gute Regenjacken schlecht verbieten.

(Text: Dominik Blacha mit Stephan Kühn)

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